In höchster Not (Kurzgeschichte)

In höchster Not

Die Erlösung vor Augen

Von Rebecca Valentin

Kurzgeschichte, erschienen am 28.09.2014

VG Wort
Verkehrsschild Parkplatz 1000 Meter / WC

Verzweifelt starrte er auf die Hinweisschilder seitlich der Autobahn. Noch einen Kilometer bis zum nächsten Rastplatz – so nah und doch so fern.

Bereits seit Stunden steckte er in diesem gottverdammten Stau fest, eine Vollsperrung, wie er dem Verkehrsfunk entnommen hatte. Es schien ihm eine Ewigkeit – je stärker seine Blase sich füllte, desto langsamer schlich die Zeit voran.

Sein Blick fixierte das zweite Schild darunter: WC – zwei Buchstaben, die sich in sein Hirn und seinen Unterleib brannten. Was würde er dafür geben, jetzt dort zu sein, endlich seine Hose öffnen und pinkeln zu dürfen. Doch nein, es herrschte absoluter Stillstand. Wenn er nur nicht so irrsinnig dringend müssen würde.

 

Stöhnend legte er den Kopf zurück. Er konnte sich nicht erinnern, jemals einen derart massiven Druck verspürt zu haben. Gleich einem prallgefüllten, schweren Ball lastete seine Blase hinter der Bauchdecke. Er griff sich in den Schritt, massierte und knetete seinen Penis. Immer wieder, immer energischer. Lange würde er es nicht mehr aushalten können, doch was dann?

Nach einer Flasche oder einem ähnlichen Behältnis hatte er sich im Innenraum des Fahrzeugs bereits vergeblich umgesehen. Ordentlich, wie er war, hielt er den Wagen sauber, räumte leere Verpackungen sogleich in den Müll. Wie er sich in diesem Augenblick dafür verfluchte …

Eine erneute Welle des Drucks überkam ihn, riss kraftvoll an seinem Schließmuskel. Einem Reflex folgend, presste er die Hand fest in die Mitte und drückte zeitgleich die Oberschenkel gegeneinander. Was sollte er nur tun?

 

Als wäre sie darauf aus, ihm die Situation zusätzlich zu erschweren, brannte die Sonne unbarmherzig vom Himmel. Die Luft flimmerte über den umliegenden Autodächern; den Motor und damit die Klimaanlage abgeschaltet, heizte sie die Fahrgastzelle gewaltig auf.

Er schwitzte, feine Perlen rannen ihm an den Schläfen herab, kitzelten sein Ohr. Dies spürte er jedoch kaum.

Seine Beine waren in Bewegung, unruhig wippte er mit der Hüfte vor und zurück. Großer Gott, warum lösten sie die Sperrung nicht auf? Er konnte nicht mehr lange, höchstens zehn Minuten, so lautete seine Einschätzung, wäre er noch imstande, seiner wild drängenden Blase Einhalt zu gebieten.

Er versuchte sich abzulenken, doch jeder seiner Gedanken kreiste um die ersehnte Toilette. Fast schon hörte er den Strahl plätschern, fühlte das goldene Nass durch die Harnröhre rauschen. Nie zuvor in seinem Leben war es so nötig gewesen, wie an diesem Nachmittag auf der Autobahn.

 

Nachdem sich wenig später einige Tropfen ihren Weg gebahnt und trotz seiner Gegenwehr aus der Spitze des Glieds hervorgequollen waren, ging es plötzlich weiter.

Er hatte die Hoffnung beinahe aufgegeben, verbissen gegen die Übermacht seines Körpers angekämpft, als er bemerkt hatte, dass ein Fahrzeug nach dem anderen startete.

Aufatmend drehte er den Zündschlüssel im Schloss und legte hektisch den ersten Gang ein. Quälend langsam setzte sich die Blechlawine in Bewegung. Schneller, schneller, trieb er die übrigen Verkehrsteilnehmer insgeheim zur Eile an. Es sind doch nur eintausend Meter!

 

Mit fliegenden Fingern betätigte er den Blinker. Gleich hast du es geschafft, nicht aufgeben, bitte nicht, beschwor er seine prallgefüllte Blase inständig. Er fühlte den feuchten Fleck in seinem Slip, war nicht in der Lage, die weiteren Spritzer, die seinen Körper verlassen wollten, aufzuhalten.

Mit hoher Geschwindigkeit befuhr er den Rastplatz, bremste scharf und in unmittelbarer Nähe des WC-Häuschens. Sofort stürmte er aus dem Wagen, rannte die zehn Meter zur Tür der Herrentoilette. Die Aussicht, seinem Druck in wenigen Sekunden nachgeben zu dürfen, motivierte ihn außerordentlich.

 

Vor dem Urinal stehend, überschritt seine Pinkelnot die Grenze des Aushaltbaren. Die Erlösung vor Augen, zeigte sie ihm unmissverständlich, dass kein weiterer Aufschub möglich war. Die Schenkel aneinandergedrückt, wollte er den Reißverschluss seiner Hose herunterzerren, doch zu seinem Entsetzen sperrte er sich.

„Bitte nicht!“, flehte er laut hörbar und riss in Panik an dem hellglänzenden Metallzipper. Er war allein in dem gefliesten Raum, trat von einem Bein auf das Andere. Was ist los, warum bewegt sich das Scheißding nicht?, fragte er sich. Er knickte in der Körpermitte ein – seine berstendvolle Blase zwang ihn in die Knie.

 

Er war kurz davor aufzugeben, als er bemerkte, dass der Stoff seines Hemds sich zwischen den Reißverschlusszähnen eingeklemmt hatte. Fahrig versuchte er, ihn herauszuziehen, keuchte und wandte sich in höchster Not, doch der Textilfetzen ließ sich nicht bewegen. Seine Handinnenflächen waren nassgeschwitzt, neuerliche Tröpfchen perlten von seiner Stirn hinab.

Obwohl er die Muskeln seines Unterkörpers krampfartig zusammenpresste, spürte er, dass weiterer Urin in seine Harnröhre lief. Er war nicht aufzuhalten – was davor nur kleine Mengen gewesen waren, formierte sich nun zu einem beträchtlichen Schwall. Er durchnässte den Slip vor der Eichel, bildete nach außen einen noch größeren, deutlich sichtbaren Fleck.

 

Es ist vorbei, realisierte er, wenn ich die verfluchte Hose nicht sofort aufbekomme, habe ich verloren. Dazu wollte er es jedoch um keinen Preis kommen lassen. Wie er es anstellen würde, war ihm gleich, ihm war jedes Mittel recht. Wenn er doch nur endlich, endlich …

Von dem peinigenden Druck in seinem Inneren angetrieben, riss er die Ecke des Hemds mit einem entschlossenen Ruck aus dem Zipper heraus. Das Material gab nach, der Reißverschluss ließ sich bewegen. Ein Umstand, den sein Gehirn als Startsignal wertete, die Schleusen endgültig zu öffnen.

Ohne dass er etwas dagegen unternehmen konnte, schoss der heiße Urin aus ihm hervor. Unaufhaltsam, in einem kräftigen, dicken Strahl.

 

Jetzt aber! Es bedurfte nur eines einzigen Handgriffs, seinen nassen, bereits pinkelnden Penis aus dem Sportslip hervorzuziehen und ihn eilig über das Edelstahlbecken zu halten. Aufatmend und vor Erleichterung stöhnend, schloss er die Augen.

Es prasselte hart und geräuschvoll. Die große Menge Kaffee aus der Besprechung am Vormittag, das Mittagsgetränk, das er in der Kantine zu sich genommen hatte und das Mineralwasser von der Autofahrt zischten als eine gelbe, nicht endenwollende Flut aus seiner Blase hervor. Dieses Erlebnis, so war er sich sicher, würde er niemals wieder vergessen.

 

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