Feuchte Panne vor Publikum – Heiße Nässe an den Beinen (Kurzgeschichte)

Feuchte Panne vor Publikum
Heiße Nässe an den Beinen

Zweite Geschichte aus dem Buch „Noch süßere Not“

Von Magenta König

Kurzgeschichte, erschienen am 03.02.2022

VG Wort
Symbolbild: Singende Frau auf einer Bühne.

Ihre dunkle Strumpfhose knisterte leise, als Janine die Oberschenkel aneinander rieb. Ungeduldig bewegte sie ihre Füße, versuchte, eine bequeme Position auf dem Beifahrersitz des Kleinwagens zu finden.

»Nun sei doch nicht so nervös«, schimpfte Tabea, die Fahrerin, »wir schaffen es schon noch rechtzeitig.« Sie hatte gut reden, es war ja nicht ihre Blase, die voll und schwer im Unterleib drückte und ihre Besitzerin mächtig nervte. Deshalb hatte Janine allen Grund, gereizt zu sein, wie sie fand. Fast dreißig Minuten lang hatte sie vor dem Haus im kalten Wind gestanden und auf ihre Mitfahrgelegenheit gewartet, jedem in die schmale Seitenstraße einbiegenden Fahrzeug hoffnungsvoll entgegengeschaut. Besonders ihr, der Pünktlichkeit so ungeheuer wichtig war, ging es fürchterlich gegen den Strich, auf jemanden warten zu müssen – und gerade heute, beim ersten bedeutsamen Auftritt des Chors, dem sie angehörte, war eine solche Verspätung äußerst aufreibend. Sie wollte gut vorbereitet sein, ihr Bestes geben und jetzt das! Gestresst kniff sie ihre Schenkel zusammen und versuchte, an etwas anderes als den heftigen Druck zu denken, der ihr jedwede Gelassenheit raubte.

 

Bereits als junge Frau hatte Janine viel Energie in ihr Hobby, das Singen, investiert, dann jedoch aus Zeitmangel jegliche Aktivitäten eingestellt. Vor zwei Monaten allerdings war sie stolz dem hochgelobten Gospelchor ihrer Heimatstadt beigetreten, mit dem sie heute, nach Jahren, wieder einmal auf einer großen Bühne stehen würde. Dementsprechend stark spürte sie ihr Lampenfieber.

In Gedanken war sie diverse Male den Ablauf des Abends durchgegangen, hatte sich sorgfältig zurechtgemacht und vor Aufregung vielleicht die eine oder andere Tasse Tee zu viel getrunken.

 

Fünf Minuten vor der verabredeten Zeit hatte sie auf die Mitsängerin gewartet, von der ihr freundlicherweise angeboten worden war, sie im Wagen mitzunehmen. Dies hatte sie allerdings schnell bereut. Tabea, offenkundig eher chaotisch, war einfach nicht aufgetaucht und auch die Anrufe auf ihrem Mobilgerät verhallten ungehört. Immer wieder hatte Janine überlegt, ob es nicht klüger gewesen wäre, sich ein Taxi zu rufen, doch letztlich hatte sie gezögert. Sie konnte sich nicht vorstellen, von der Mitstreiterin schlicht vergessen worden zu sein. Und ein wenig Puffer hatte sie zeitmäßig ja eingeplant. Dringender als die Zeitnot jedoch hatte ihr mit jeder Minute, die vergangen war, das Bedürfnis nach einer Toilette auf der Seele gelegen. Sie war unruhig geworden und ruhelos vor dem Haus auf und ab gewandert. Die hohen Absätze hatten hierbei hörbar auf dem Bürgersteig geklackert.

 

Mehr als einmal hatte sie sich entschlossen, flugs in ihre Wohnung zurückzukehren und dort zur Sicherheit das Bad aufzusuchen. Bevor es aber dazu kam, war sie bei jedem Mal überzeugt davon gewesen, ein sich annäherndes Auto zu hören, und hatte entschieden, dass es zu lange dauern würde, bis sie aus Mantel und Rock heraus wäre. Auf keinen Fall hatte sie riskieren wollen, ihre Mitfahrgelegenheit zu verpassen und dann endgültig in der Bredouille zu sitzen. So hatte sie sich zusammengerissen und ihrer Blase gut zugeredet, es bis zu der Stadthalle auszuhalten, in der ihr Chor heute die Hauptattraktion sein sollte. Diesen Leichtsinn bereute sie in jenem Moment zutiefst.

 

Janine musste immer dringender. Die kalte Luft hatte vermutlich ebenso dazu beigetragen wie ihre Aufregung vor dem Auftritt. Die Ursachenforschung, überlegte sie, half ihr jedoch in keiner Weise. Sie benötigte ein Klo – und zwar schnell! Eine feuchte Panne vor dem Publikum des Gospelchors konnte sie sich beileibe nicht leisten.

»Nun gib doch Gas«, motzte sie entgegen ihrer Gewohnheit. Sie war verzweifelt, wurde wütend. Die langatmigen Erklärungen Tabeas, was in deren Tagesablauf schief gelaufen war, gingen ihr auf den Keks. In Janines Kopf kreiste einzig der Wunsch, sich endlich, endlich erleichtern zu dürfen. So nötig hatte sie noch nie gemusst.

Der Tee schwappte in ihrem Unterleib, dehnte die Blase und drückte unbarmherzig auf den Schließmuskel, den sie mit nahezu unmenschlicher Kraft zukniff. Dabei behielt sie die Uhr auf dem Armaturenbrett im Auge, deren Zeiger zur vollen Stunde aufrückten. Um neunzehn Uhr sollte die Aufführung beginnen. Sie mussten pünktlich auf der Bühne stehen, sonst würde es eine Blamage sondergleichen für alle geben.

 

Die schnellen Schritte, mit denen die beiden Frauen wenig später in das Veranstaltungsgebäude hetzten, machten die Situation für Janine nicht gerade erträglicher. Jedes Auftreten sorgte für eine Erschütterung, die sie das unangenehm volle Ausmaß in ihrer Mitte nur stärker spüren ließ.

Im Eingangsbereich schlug ihnen abgestandene Wärme entgegen, vereinzelt standen ein paar letzte Menschen herum und leerten ihre Sektgläser. Das Konzert war seit Wochen ausverkauft, was alle Mitglieder des kleinen Chors mit Stolz erfüllte.

Panisch schaute sie sich um, suchte nach den WCs, während sie sich gleichzeitig des langen Mantels entledigte.

»Hier entlang«, wies Tabea sie an und ging vor ihr her, doch Janine blieb stehen, noch immer nach den entsprechenden Hinweisschildern Ausschau haltend.

»Nein warte, ich muss mal«, widersprach sie energisch.

»Dafür haben wir jetzt keine Zeit mehr«, entschied die andere unbeirrt und griff nach Janines Hand. Sie deutete auf die Wanduhr, deren großer Zeiger exakt in diesem Augenblick auf die Zwölf vorrückte.

 

Ihrer Verzweiflung zum Trotz ließ sie sich mitziehen, warf Jacke und Tasche nach Anweisung auf einen Stuhl hinter dem Bühnenbereich und schloss sich den übrigen Frauen der Gesangsgruppe an, die nacheinander und mit gemessenen Schritten die Bühne betraten. Sie bemerkte sehr wohl die missbilligenden Blicke, die Tabea und sie trafen, bevor alle ein freundliches Lächeln aufsetzten und begannen, sich auf die Musik vorzubereiten …

 

Herzlicher Applaus schlug ihnen entgegen, als sie sich aufstellten. Unglücklicherweise befand sich Janines Platz in der ersten Reihe. Was hätte diese in ihrer prekären Lage alles dafür gegeben, sich wenigstens verstecken zu können. In jenem Augenblick beneidete sie die übrigen Gospelchöre um die weiten, farbenfrohen Roben, die in diesem Genre üblich waren. Sie selbst trug, wie die anderen Sängerinnen ihrer Gruppe, jedoch einen engen, knielangen schwarzen Rock und ein ebenso dunkles Oberteil. An sich sehr elegant, nur hatte Janine keinen Schimmer, wie es ihr gelingen sollte, ihre Not angesichts der schmal geschnittenen Kleidung noch lange zu verbergen.

 

Eine weitere Welle des Müssens durchzog ihren Unterkörper. Erschrocken kniff Janine die Beine zusammen. Ihre Hand zuckte zum Schoß; nur in letzter Sekunde gelang es ihr, sich zusammenzunehmen. Ihre verschränkten Finger verkrampften sich; schmerzhaft bohrte sich ein Fingernagel in den Daumenballen. Die Dirigentin hob den Arm, die Frauen atmeten ein. Nervös realisierte Janine, dass sie nicht einmal wusste, mit welchem Song sie beginnen würden. Sie versuchte, sich zu konzentrieren. Es war noch gar nicht lange her, dass sie den Ablauf des Konzerts in Gedanken wieder und wieder durchgegangen war. Mit den ersten Tönen des Klaviers setzte glücklicherweise die Erinnerung ein. Die Solistin startete mit ›Oh Happy Day‹, der Chor folgte. Nervös fing auch Janine an, zu singen. Ihre Stimme zitterte, doch sie hoffte von ganzem Herzen, dass es zumindest dem Publikum nicht auffallen würde.

 

Zunehmend heftiger steigerte sich ihre Bedrängnis, immer vehementer quälte sie der Druck ihrer Blase. Das gepeinigte Organ war restlos überfüllt, sehnte sich nach Erlösung. Rastlos verlagerte sie ihr Gewicht von einem Bein auf das andere, dann zurück. Jede Bewegung verschaffte ihr ein Mindestmaß an Erleichterung, doch sie war zum Stillstehen verdammt. Ihr eingefrorenes Lächeln fühlte sich wie eine Grimasse an.

Auf ›Down by the riverside‹ und ›I will follow him‹ folgten die etwas unbekannteren Stücke, stetig unterbrochen vom Klatschen der Zuschauer, denen das Konzert offensichtlich gut gefiel. Dutzende Augenpaare ruhten auf ihr, während Janine mit ihrer Selbstbeherrschung kämpfte. Wenigstens boten die flotteren Songs die Gelegenheit mit zu swingen. Dafür war sie dankbar. Spätestens die getragene Melodie des Klassikers ›Amazing Grace‹ machte ihr allerdings wieder einen Strich durch die Rechnung.

 

Sie hätte heulen können. Im Normalfall erfüllte sie der Gesang mit Freude und Begeisterung, doch heute erwischte sie sich dabei, dass sie während ganzer Strophen nur die Lippen bewegte. Sie hatte keine Ahnung, wie sie die Stimme in die Höhe drücken sollte, ohne die Bauchmuskeln anzuspannen und ihre Pein noch zu vervielfachen. Den Blick starr auf die Dirigentin gerichtet, hoffte sie, die Strapaze möge einfach vorübergehen, doch es wurde nur noch schrecklicher. Ihr Innerstes war in Aufruhr. Was bisher lediglich furchtbar unangenehm war, begann jetzt, auch noch weh zu tun.

 

Ohne Vorwarnung erhielt Janine von der neben ihr stehenden Alexa einen Rippenstoß. Vor Überraschung hätte sie fast losgelassen, dennoch lief ohne ihr Zutun der erste Urin in die Harnröhre, ein winziger Spritzer ging ins Höschen. So fest wie möglich kniff die Sängerin zu; ihr war klar, dass es wie ein Sturzbach aus ihr hinauslaufen würde, sobald sie nicht mehr einhalten könnte.

Verzweiflung machte sich breit, ihre Augen füllten sich mit Tränen. Unvorstellbar, dass ihrem Gesichtsausdruck niemand anmerkte, was mit ihr los war. Sie saß hoffnungslos in der Patsche. Alexa hatte bemerkt, dass es mit dem Gesang der Kollegin am heutigen Abend nicht weit her war. Janine spürte deren Unmut und die Verwunderung, auch wenn sich die beiden Frauen nicht unmittelbar anschauen konnten. Janine hoffte inständig, dass es zumindest keine neuerlichen, unvermuteten Auslöser wie den heftigen Seitenstoß geben würde. Sich noch einmal dermaßen zu erschrecken, durfte um Himmels willen nicht geschehen.

 

Eine erneute Woge durchflutete Janines Schoß. Es verblüffte sie ein wenig, wie lange es offenbar möglich war, ihren Unterkörper zu beherrschen, doch ihre Leidensfähigkeit näherte sich langsam der absoluten Obergrenze. Irgendwann müsste der Punkt erreicht sein, an dem die schiere Willenskraft nicht mehr ausreichen würde, die aufgestaute Menge Urin zurückzuhalten, das war klar. Die Frage, die sie massiv beschäftigte, war, was sie tun könnte. Wenn sie nicht irrte, war der Chor derzeit noch mindestens fünf oder sechs Lieder vom Ende entfernt, die Zugaben nicht eingerechnet. Aus welchem Grund bei einem solchen Auftritt keine Pause eingeplant wurde, blieb ihr rätselhaft.

 

Ihr Mund war trocken, die Bluse am Rücken längst durchgeschwitzt. Je gewaltiger sie sich quälte, desto fraglicher erschien es ihr, ob sie den Rest der Veranstaltung ohne peinlichen Zwischenfall durchstehen könnte. Resignation machte sich breit. Janine begriff langsam, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis sie gezwungen würde, eine Entscheidung zu treffen. Dabei war stehenzubleiben und zu hoffen, dass niemand bemerkte, wie ihr die heiße Nässe an den Beinen herunterlief, eindeutig die schlechteste Alternative. Schon der Gedanke daran, sich auf der Bühne hilflos einzupinkeln, bescherte ihr eine unangenehme Gänsehaut. Die zweite Möglichkeit bestand darin, einfach während des Konzertes vom Podium zu fliehen. Die anderen würden es verschmerzen – sie sang ohnehin kaum mit. Zu zittrig war ihre Stimme und den Text der meisten Lieder hatte sie in ihrer Not vergessen. Und für einen Solopart hatte es auf Grund der kurzen Zugehörigkeit zur Gruppe bisher zum Glück noch nicht gereicht.

 

Exakt in der Sekunde, in der sie beschloss, sich möglichst unauffällig von der Bühne zu stehlen, durchfuhr sie ein Stechen. Erneut gab ihr Schließmuskel nach – jetzt war der Punkt gekommen, an dem ihre Blase überlief. Feucht und warm tränkte es wie von selbst ihren Slip und die Strumpfhose – Janine konnte es nicht mehr halten. Schockiert zuckte sie zusammen, danach presste sie mit aller Kraft die Beine aneinander. Erster Urin sickerte an den Oberschenkeln entlang und bahnte sich einen Weg zu ihren Waden.

Sie stöhnte gepeinigt auf, dann eilte sie hastig mit gesenktem Kopf und knallroten Wangen hinter die Bühne. Nach wie vor wusste sie nicht, wo sich die vermaledeiten Klos befanden.

 

Panisch umherschauend, eine Hand auf den brennenden Unterleib gepresst, irrte sie durch die Gänge. Wenigstens hatte sie es geschafft, noch ein letztes Mal die Kontrolle zurückzugewinnen. Dieser Zustand würde allerdings kaum lange anhalten.

Mit einem Keuchen der Erleichterung erblickte sie im Eingangsbereich endlich das ersehnte Schild auf einer weißen, unscheinbaren Tür. Hektisch stolperte sie hinein, schmetterte in einer einzigen Bewegung die Kabinentür hinter sich zu und riss den Toilettendeckel hoch.

Für die Strumpfhose und das feuchte Höschen blieb keine Zeit. Janine gelang es gerade noch, den engen Rock nach oben zu raffen, bevor sie spürte, wie der Schließmuskel seinen Dienst endgültig quittierte und die goldene Flüssigkeit gleich eines tosenden Wasserfalls hervorschoss. Sie sank auf die WC-Brille. Einige Spritzer gingen daneben, doch dann plätscherte es laut durch den seidigen Stoff in die Schüssel hinein.

 

Befreit atmete sie auf. Niemals zuvor hatte sie derart machtvoll pinkeln müssen. Das Gefühl, endlich loslassen zu dürfen, war unbeschreiblich. Da spielte auch die eingenässte Kleidung keine Rolle mehr. Immerhin hatte sie den Rock gerettet, der die schlimmsten Spuren kaschieren würde, und die Schuhe waren zum Glück trocken geblieben – ihre Lieblingsschuhe. Die dunklen Strümpfe hingegen konnten ein paar feuchte Streifen vertragen, diese dürften nicht unbedingt sichtbar sein. Janine ließ den Kopf in die Hände sinken. Um sie herum war es totenstill, doch aus der Ferne hörte sie frenetischen Applaus.

 

Je länger sie pinkelte, desto stärker gewann ihr Verstand die Oberhand zurück. Sie beschloss, dass es keinen Sinn ergab, sich zu schämen oder wütend zu sein: weder auf Tabea, die Verursacherin des ganzen Schlamassels, noch auf sich selbst. Wie hatte sie nur dermaßen dusselig sein können? Beim nächsten Mal, so nahm sie sich vor, würde sie hocherhobenen Hauptes und vor allem rechtzeitig die Bühne verlassen. Wenn es denn überhaupt ein nächstes Mal gäbe …

 

In dieser Sekunde entschied Janine, nie wieder vor einem Auftritt so viel zu trinken, Nervosität hin oder her. Ihr Lehrgeld hatte sie hiermit bezahlt. Sie konnte sich die irritierten Blicke der Zuschauer und besonders ihrer Chorleiterin lebhaft vorstellen, die sie verfolgt haben mussten, als sie soeben Hals über Kopf davon gestürzt war. Das würde sie ihr sicher erklären müssen.

Während sie versuchte, sich ihren klatschnassen Po und den Bereich zwischen den Oberschenkeln mit Toilettenpapier wenigstens notdürftig zu trocknen, überlegte sie, dass sie den Damen bei nächster Gelegenheit schlicht und einfach die Wahrheit erzählen könnte. Doch dies hatte Zeit, nun wartete zu Hause erst einmal die Dusche auf sie.

 

Befreit holte Janine ihren Mantel und die Handtasche, lauschte, bevor sie ging, lächelnd dem gedämpft zu hörenden Klatschen und dem fröhlichen Gospelgesang. ›I saw the light‹ war eines ihrer absoluten Lieblingslieder. Leise mitsingend verließ sie das Gebäude und steuerte den nahegelegenen Taxistand an …