Joshua war verdammt spät dran und das wusste er. Wieder einmal konnte er sich für seine unstrukturierte Art und sein ewiges Zuspätkommen verfluchen. Heute würde es richtig eng werden – wenn er es nicht schaffen würde, seinen Reisepass im Bürgeramt abzuholen, bevor dieses schloss, konnte er den Flug nach London am kommenden Montag vergessen. Sein Chef würde ihm den Hals umdrehen, wenn er wegen solch einer Lappalie den Kundentermin nicht wahrnehmen könnte.
Immer wieder hatte er es versäumt, das bereits vor Wochen beantragte Dokument auch abzuholen – die Öffnungszeiten des Rathauses passten überhaupt nicht in seinen Plan und der Donnerstagnachmittag war die einzige Chance für ihn. Stets aufs Neue hatte er es dennoch verschoben; einmal hatte er im Büro die Zeit vergessen, ein anderes Mal war das Wetter so schön, dass er lieber noch mit den Kollegen in den Biergarten wollte, dann wieder war er zum Volleyball verabredet.
Als ihm heute bewusst wurde, dass der Flug schon in wenigen Tagen ging, war er überstürzt aus der Firma gehastet und hatte sich ins Auto geworfen, um bestimmt pünktlich vor Ort zu sein. Er wusste aus Erfahrung, wie groß der Andrang am Donnerstag war. Sobald es keine Nummernzettel für die Wartenden mehr gab, würde er in die Röhre gucken. Also trat er aufs Gaspedal und riskierte ein teures Foto. Besser, als dem Boss zu gestehen, dass er zu verpeilt war, um einen Reisepass abzuholen.
Er fuhr sich genervt durch die Haare. Und dass seine Blase kurz vor dem Überlaufen war, trug auch nicht gerade zu seiner Laune bei. Wäre er schlau gewesen, hätte er im Büro noch eben die Toilette aufgesucht – naja, wäre er schlau, würde er jetzt gar nicht in dieser Bredouille stecken, wie er sich selbst eingestand.
Joshuas Plan bestand darin, nun schnell an seinem Wohnort anzukommen, dort einen Parkplatz unmittelbar vor dem Rathaus zu finden und, nachdem er eine Wartenummer vor dem Bürgerbüro gezogen hätte, exakt dort die Klos aufzusuchen. Die Besuchertoiletten befanden sich zum Glück direkt gegenüber der angestrebten Tür. Aber wann funktionierten Pläne schon …
Mit verbissenem Gesichtsausdruck und fest zusammengepresstem Schließmuskel kurvte er über die Landstraße, haderte mit sich selbst und fluchte lautstark über andere Verkehrsteilnehmer, die ihm im Weg waren. Bereits das zweite Mal musste er energisch auf die Bremse treten, weil Autos abbiegen wollten und er in seiner Not viel zu dicht aufgefahren war. Joshua tröstete sich, dass diese Hindernisse dann wenigstens nicht mehr vor ihm her tuckerten. Im Hinterkopf wusste er, dass nicht die anderen das Problem waren und er dringend seinen Fahrstil anpassen sollte, doch der unangenehme Druck in seinem Unterleib trieb ihn voran, ebenso wie die Angst, es sich endgültig mit seinem Chef zu verscherzen.
Er stöhnte leise auf. Der Schweiß trat ihm aus allen Poren, obwohl es wahrhaftig nicht heiß war.
Statt langsamer zu werden, trat Joshua noch einmal kurz auf das Gaspedal, als endlich das Ortsschild auftauchte. Die überhöhte Geschwindigkeit konnte er allerdings nicht lange fahren, da sich die Wagen auf dem Weg in die Innenstadt zurückstauten. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich einzureihen. Nervös trommelten seine Finger auf dem Lenkrad, ungeduldig rutschte er auf dem Sitz herum, um eine erträglichere Position zu finden. Er behielt die Uhr auf dem Armaturenbrett im Auge, hoffte und wünschte, dass es heute nicht zu voll sein würde.
Als er endlich auf den Parkplatz vor dem Rathaus einbog, suchten seine Augen verzweifelt nach einer Lücke. Hektisch fuhr er die Reihen ab, fand jedoch keinen Stellplatz, in den er seinen Wagen hätte zwängen können.
In seiner Panik beschloss er, auch hier ein Bußgeld zu riskieren. Er parkte den Kleinwagen in einer Ecke, die nicht als Parkfläche vorgesehen war, wo er hoffentlich aber auch niemanden allzu sehr stören würde. Sollte er einen Strafzettel bekommen, dann war es eben so. Ruppig fuhr er mit zwei Reifen auf den Kantstein, Gebüsch kratzte über den Lack des Kofferraums.
Joshua riss den Schlüssel aus dem Zündschloss, bevor er fluchtartig das Auto verließ. Gern wäre er gerannt, doch das ließ der Zustand seiner prallen Blase nicht mehr zu.
Bemüht, sich nichts anmerken zu lassen, eilte er auf die Stufen des Rathauses zu. Es waren nur ein paar Meter bis zum ersehnten Nummernzettel und der noch heißer herbeigesehnten Toilette.
Erleichtert stellte er fest, dass nur wenige Menschen vor dem Bürgerbüro warteten und der kleine Automat ihm noch eine Wartenummer ausspuckte. Joshua blickte auf die rotleuchtende Anzeige auf dem Flur: 286. Noch drei Leute waren vor ihm dran. Als sich eine Welle des Müssens durch seinen Körper zog, die ihn fast dazu zwang, in die Knie zu gehen, stopfte er den Zettel hektisch in die Hosentasche.
Er wandte sich um, griff nach der Türklinke des Besucher-WCs und … riss sie fast ab, da die Tür verriegelt war und entsprechend nicht nachgab. Sch…, zuckte es durch Joshuas Hirn. Fest presste er die Oberschenkel zusammen, konzentrierte sich darauf, seinen aufgewühlten Unterleib zu beruhigen. Offenbar war die Einzeltoilette, die sich hinter der hässlich lackierten Tür befand, besetzt. Er konnte es nicht fassen. Wie viel Pech konnte er nur haben? Immerhin habe ich es geschafft, eine Wartenummer zu ergattern, versuchte er, sich selbst zu beruhigen. Ich werde meinen Pass bekommen und nach London fliegen.
Nervös begann er, auf und ab zu tigern. Die Bewegung half ein wenig, doch Joshua wusste, dass sein Zustand erbärmlich war. Als die Digitalanzeige eine Nummer weiter sprang, erhob sich ein älterer Mann und schlurfte Richtung Bürgerbüro. Joshua sah sich um. Außer ihm befand sich noch eine Mutter mit Kinderwagen und eine junge, dunkelhaarige Frau im Wartebereich. Er spürte, wie er von beiden gemustert wurde. Sicher sah man ihm die Verzweiflung hinreichend an. Wie blamabel …
Antonia gab sich einen Ruck und schaute endlich bewusst in eine andere Richtung. Sie hatte gemerkt, wie sie starrte, und es war ihr peinlich. Prickelnde Erregung war in ihr aufgestiegen, als sie den attraktiven jungen Mann, der so offensichtlich pinkeln musste, hereinstolpern sah.
Es war das erste Mal, dass ihr etwas derartiges live und in Farbe passierte. Davon zu fantasieren war die eine Sache, doch eine solche Not bei einem hübschen Typen zu erleben, brachte sie gerade ein wenig aus der Fassung. Sie hatte beobachtet, wie er hereinkam und es war sofort klar gewesen, in welcher Lage er sich befand. Die Toilettentür war allerdings verschlossen und sie hatte die Gedanken hinter seiner Stirn fast in Großbuchstaben sehen können: Panik!
Sie bemühte sich, ihre Gefühle unter Kontrolle zu bekommen. Niemand sollte bemerken, wie sehr sie der Umstand aufwühlte, dass es einem anderen Menschen so schlecht ging. Dennoch wurde gerade ihr heißester Traum Wirklichkeit. Dazu kam, dass die junge Frau vor einiger Zeit einen Mann mit Werkzeugkoffer hatte aus der Tür kommen und diese verschließen sehen. Sie vermutete, dass das Klo defekt und deshalb gesperrt war, was der Fremde allerdings nicht wissen konnte. Ihr war es gleichgültig gewesen, doch nun bekam diese Tatsache eine viel brisantere Bedeutung …
Sie blickte möglichst unauffällig wieder in seine Richtung. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass auch die Frau, die mit ihnen wartete, ihn beobachtete. Antonia war erleichtert, so würde ihr eigenes Interesse weniger auffallen. Sie trat von einem Fuß auf den anderen, kreuzte ihre Beine, als ob auch sie auf die Toilette müsste, doch ging es hier vornehmlich um das lustvolle Kribbeln, das sich in ihrem Schoß ausbreitete. Sie biss sich auf die Unterlippe, als sie den gehetzten Blick des Mannes sah, der ganz offenkundig nach einem Ausweg suchte. Ratlos schaute er zwischen dem Eingang und der Tür des Bürgerbüros hin und her, sein Körper blieb dabei unentwegt in Bewegung. Sie konnte sich ausmalen, dass er erwog, welche anderen Optionen er hatte. Soweit sie wusste, gab es keine. Draußen befanden sich nur ein stark frequentierter Parkplatz und der Beginn der Fußgängerzone mit einigen Restaurants, die um diese Uhrzeit noch nicht geöffnet hatten – keine Toilette weit und breit. Und um sich vor allen Leuten zu erleichtern, nun, dazu gehörte schon etwas.
Unruhig ging sie den Flur entlang, ließ den Mann dabei jedoch niemals nur eine Sekunde aus den Augen. Als sie sah, wie er sich verstohlen die Hände in die engen Jeanstaschen schob, zupfte ein Lächeln an ihren Mundwinkeln. Ihre Nervosität nahm zu. Sie wartete förmlich darauf, dass er sich den Schritt kneten würde, doch noch konnte er sich zusammenreißen. Dann folgte ein weiterer Krampf und er ging in die Knie.
Antonia beobachtete, wie er sich umdrehte und Richtung Ausgang strebte, doch in diesem Moment kündete ein kurzer Gong davon, dass die nächste Nummer aufgerufen wurde. Er blieb stehen. Während die andere Frau umständlich ihren Kinderwagen durch die Tür des Bürgerbüros manövrierte, konnte Antonia sehen, wie er mit sich kämpfte. Er musste derbe dringend, doch offensichtlich war es keine Option, einfach zu flüchten und an einem anderen Tag wiederzukommen.
Feuchtigkeit sammelte sich in ihrer Mitte, sie spürte, wie sie immer erregter wurde. Selbstverständlich trug die Tatsache, dass sie den großen Mann mit dem Vollbart äußerst anziehend fand, zu diesem Umstand bei. Antonia bemerkte erstaunt, dass sie auch ohne diese delikate Situation auf den fremden Typen stehen würde.
Wieder starrte sie ihn an, doch dieses Mal erwiderte er ihren Blick und schaute ihr in seiner Panik unmittelbar in die Augen. Als der Gong erneut ertönte und nun ihre Nummer aufleuchtete, reagierte sie sofort:
»Hier, geh’ schnell rein.« Sie drückte ihm ihren Zettel in die Hand und sah, wie er nur kurz zögerte, dann allerdings mit einem atemlosen ›Danke‹ loshastete.
Er hatte eine schöne, tiefe Stimme. Sie blieb einfach stehen und sah ihm nach. In ihrem Bauch wimmelte es plötzlich nur so von Schmetterlingen, ihr Unterleib prickelte erwartungsvoll. Sie wusste genau, was sie gern tun würde, wenn sie nach Hause kam. So geil wie jetzt war sie lange nicht mehr gewesen. Schade nur, dass sie allein sein würde. Oder? Sollte sie vielleicht …?
Sie wurde aus ihren Tagträumen gerissen, als die Tür neben ihr aufflog und der Fremde hinausstürzte. In einer Millisekunde nahm sie den Pass in seiner Hand wahr, die andere war fest in seinen Schritt geklammert, als er mit weit aufgerissenen Augen auf den Ausgang zu rannte. Eigentlich war es mehr ein Humpeln. Antonia dachte nicht mehr nach, sie musste diese Chance einfach ergreifen.
Sie schoss hinter ihm her, pfiff auf ihre eigenen Angelegenheiten. Die konnte sie auch in der nächsten Woche noch erledigen.
»Warte«, rief sie, als sie bemerkte, wie er kopflos von links nach rechts schaute. »Ich wohne gleich da gegenüber, da kannst du auf Klo.« Ohne zu schauen, ob er ihr folgte, stürmte sie auf die Eingangstür zu und zog bereits unterwegs den Schlüssel aus ihrer Tasche.
Als sie aufschloss, hörte sie tiefes Stöhnen und unterdrücktes Fluchen hinter ihr. Er war also mitgekommen! Ihr Herz machte einen Satz.
»Zweite Tür links«, wies sie an, als sie zur Seite sprang, um ihm die Chance zu geben, die rettende Toilette noch zu erreichen.
Er zwängte sich an ihr vorbei, knallte die Badtür gegen den dahinter stehenden Schrank. Antonia war es egal. Obwohl sie wusste, dass es sich wirklich nicht gehörte und vermutlich einen sehr eigenartigen Eindruck machte, blieb sie in der Tür ihres kleinen Badezimmers stehen. Sie konnte ihren Blick nicht abwenden.
Kraftvoll rauschte der heiße Strahl in die Schüssel, natürlich hatte er sich nicht mehr die Mühe gemacht, den Toilettensitz hochzuklappen. Ob sein Slip trocken geblieben war? Seine Schultern sackten nach vorn, er wirkte, als ob er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Allerdings war es auch eine Tortur für ihn gewesen, das hatte Antonia zu ihrer großen Freude ja miterlebt. Wer wusste schon, wie lange er sich in dieser prekären Situation befunden hatte?! Ihre Fantasie ging mit ihr durch, doch schnell konzentrierte sie sich wieder auf den sexy Mann, den das Schicksal ihr mitten in ihre Wohnung katapultiert hatte.
Er blieb eine ganze Weile stehen, selbst als der Urin versiegt war. Nachdem er seine Kleidung gerichtet und die Spülung gedrückt hatte, drehte er sich verlegen um. Sie sah seine rot verfärbten Wangen. Seine Schüchternheit gab ihr den Mut, ihn keck anzulächeln.
»Rettung in letzter Sekunde, hm?« Er grinste verschämt. Sie bemerkte, wie er sie nun ebenfalls musterte. Nicht bereit, das Ganze an dieser Stelle enden zu lassen, fragte sie kühn:
»Magst du noch einen Kaffee mit mir trinken? Oder lädst du mich zum Dank sogar zu einer Pizza ein?« Noch nie hatte sie jemanden so verwegen angemacht, doch es fühlte sich irgendwie richtig an. Und dabei wusste Antonia noch nicht einmal, dass es auf viel mehr als ein Abendessen hinauslaufen würde. Er würde es sein, der ihr am nächsten Tag Frühstück machte. Und am Tag darauf ebenso …
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